Crash
Nachdem in diesem Jahr (zum beschriebenen Zeitpunkt gerade einmal 19 Tage alt) zuerst meine Waage (was ich nach kurzem Abwägen kurzentschlossen als positiv verbuchte), dann meine Duschhalterung, mein Mülleimer und zuletzt mein Wäschetrockner den Geist aufgegeben hatten, hoffte ich auf eine Unterbrechung der Pannenserie. Ich brauchte Zeit für Reparaturen und um die Wäsche im Wohnzimmer aufhängen zu können.
Diese Hoffnung verstarb kurz darauf scheppernd, als ich meinem treuen Transportator, meinem verspotteten Geschlechtsneutralisator, meinem unverzichtbaren Gleichgewichtsstabilisator morgens schläfrig auf dem Weg zur Kaffeemaschine hinterherschlurfte. Völlig unangekündigt bekam die treue Stütze meines Alltags plötzlich Schieflage.
Und - ich natürlich mit ihr.
Das veranlasste mich, meine Augen weiter aufzureißen, als es mir normalerweise - rein physiologisch betrachtet - um diese Uhrzeit überhaupt möglich ist. Ich erspähte als nächstmöglichen Halt die Küchenarbeitsplatte, an die ich mich hastig klammerte und den Rollator dahinfahren ließ. Auf drei Rädern, eines lag auf den Küchenfliesen, winzige, silberne Kügelchen umkreisten es schillernd…
Vollkommen durchzudrehen blieb mir dagegen verwehrt, die ich, meines zuverlässigsten Drehmomentes beraubt, schreckensstarr an der Arbeitsplatte lehnte.
Das durfte jetzt echt nicht wahr sein! Bis auf meine Wenigkeit (hätte ich nicht doch besser direkt die Waage ersetzen sollen???) war mein treues Gefährt doch völlig unbelastet gewesen! Ich hatte ihm heute doch bisher keinerlei Getränkekisten, Kleinkinder oder Müllberge, nicht einmal meine heißersehnte Tasse Kaffee, auferlegt.
Panne oder Rollator-GAU? Reparabel oder Irreparabel? Was zahlt die Krankenkasse? Wie sieht meine private Kassenlage gerade aus? Was mache ich jetzt bloß???
Flash
„Dankt Gott in jeder Lebenslage!“ gegenüber meines rettenden Haltes hängt dieses Zitat von Paulus als Kärtchen mit hübschem Blumenmotiv an meiner Pinnwand, aber irgendwie kam mir dieser Spruch gerade gelinde gesagt unpassend vor.
Aktuelle Analyse meiner Situation: schockstarr an Küchenplatte stehend mit Aussicht auf einen dreirädrigen Rollator, fromme Sprüche und stundenlange Telefonate mit Krankenkasse, Arzt und Sanitätshaus.
Aber nicht zu vergessen: auch auf die Kaffeemaschine! In erreichbarer Nähe! Vorsichtig setzte ich mich in Bewegung und hangelte ich mich voran. Sehr sachte (ein wenig misstrauisch wegen meiner bisherigen persönlichen Pannenserie 2019) stellte ich sie an. Sie funktionierte!
Der Kaffee begann zu duften und die Welt, jenseits des umgestürzten Rollators, ein wenig freundlicher auszusehen.
Meine grauen Zellen wurden langsam wach und riefen sich in Erinnerung, dass Paulus weitaus existenzbedrohlichere Situationen durchlebt hatte, als sich kaffeetrinkend in einem beheizten, sicheren Zuhause über eine Hilfsmittelversorgung den Kopf zu zerbrechen, die damals noch nicht einmal erfunden war.
Sollte der Mann recht haben und ich Grund zu danken?
Danken kommt von Denken, also begann ich zu grübeln, ob mir irgendetwas einfiele, wofür ich in meiner momentanen Lebenslage Gott danken könnte. Naja, immerhin lag ich nicht, nämlich auf der Nase, eine mir durchaus bekannte Perspektive, sondern stand, wenn auch ein wenig wackelig, in meiner Küche. Und nicht mit einem vollgepackten, dreirädrigen Rollator in Schieflage beim Supermarkt an der Kasse, was ja auch nicht vollkommen unwahrscheinlich gewesen wäre.
Drittens musste ich dieses Problem gar nicht alleine lösen, ich habe einen fahrzeugaffinen Freund für alle Fälle, die mit Reifen zu tun haben, der würde sich die Karre sicher mal anschauen.
Viertens war ich vor einigen Jahren dem Trend zum Zweitrollator erlegen und hatte mir ein leichtes Gefährt fürs Auto zugelegt. Der würde es für die Zwischenzeit tun.
Fünftens, die Zwischenzeit, wenn ich an die dachte, war mir allerdings gar nicht zum Danken zumute. Hätte ich aber - mit etwas mehr Gottvertrauen - gelassen tun können. Oder gespannt. Denn diese Zwischenzeit hält bis heute an. Wofür ich Gott von Herzen danke.
Obwohl sich herausstellte, dass mein treues Gefährt sich nach 11 Jahren auf den Weg in die ewigen Rollatorgründe machen muss. Oder weil?
In dieser Zwischenzeit habe ich realisiert, dass ich in der Wohnung momentan gar keinen Rollator mehr brauche. Was im letzten Jahr wegen heftiger Rückenschmerzattacken nicht denkbar gewesen ist. Ich hatte mich einfach daran gewöhnt. Ebenso an den Gedanken, dass ein Hilfsmittel, das bei meiner „chronisch progredienten“ MS einmal nötig war, es auch immer bleiben wird. Trotz leichter Verbesserungen dank meiner Ernährungsumstellung vor gut zwei Jahren.
Meine Wohnung ist aktuell rollatorfrei, vielleicht nur vorläufig, umso mehr freue ich mich jeden Tag darüber. Noch dankbarer bin ich, dass der Hilfsmittelzusammenbruch bei mir zu einer Aufbruchsstimmung geführt hat, ich bin mental nicht mehr festgefahren in meinem Rollatortrott.
Mut oder Übermut? Ich denke über weitere Schritte außerhalb meiner Wohnung nach…
Kommentare zu diesem Blogeintrag
Ich freu mich mit Dir, liebe Schirini
Danke, Emma!