14 Wenn ihr aber bitteren Neid und Selbstsucht in eurem Herzen habt, so rühmt euch nicht und lügt nicht gegen die Wahrheit!
15 Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, seelische, dämonische.
16 Denn wo Neid und Selbstsucht ist, da ist Unordnung und jede böse Tat. (Jak 3:14-16, Schlachter)
Neid. Verborgene Triebkraft menschlicher Beziehungen?
Episodenbeschreibung:
Neid kann überall dort entstehen, wo es Ungleichheit zwischen den Menschen gibt: in der Gesellschaft und Familien, zwischen Geschwistern, Geschlechtern, Generationen. »Neid ist die Steuer, die aller Unterschied bezahlen muß« (R.W. Emerson). Neid hat einen schlechten Ruf, ist mitunter tabuisiert, zugleich ein allgegenwärtiges Gefühl. Die Folge beschäftigt sich mit einem psychoanalytischen Verständnis von Neid und seinen Folgen für Gesellschaft und therapeutische Prozesse, etwa in der sogenannten negativen therapeutischen Reaktion. Neid ist aber nicht nur Zerstörer, sondern Triebkraft menschlicher Entwicklung.
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Thesen
Jede Gesellschaft muß Umgang mit Neidgefühlen finden. Neid hat das Potenzial soziale Hierarchien, soziale Ordnungen zu zerstören, Beziehungen, Institutionen, Familien zu zerreißen, es ist ein systemsprengendes Phänomen. Das gilt allemal für Gesellschaften, die geradewegs auf sozialem Ungleich errichtet sind. Denn Neid entsteht überall dort, wo Ungleichheit zwischen Menschen besteht. Das gilt für soziale Verhältnisse, aber letztlich Ungleichheit mithin und Gerechtigkeit aller Art, zwischen Geschwistern, Geschlechtern oder Generationen. Es gibt wohl kaum eine Emotion, die soweit verbreitet ist, zugleich aber in dieser Weise unausgesprochen bleibt. Wohl ist doch nicht jede äußere Anerkennung für den Erfolg eines anderen gleichbedeutend mit der Abwesenheit von Neid. Es gibt durchaus die Neigung, dem anderen fröhlich Beifall zu klatschen, machmal dann etwas zu laut, zu überschwänglich, nur um nicht zu zeigen, daß man neidisch ist, man der Person zu ihrem Erfolg nicht auch noch den eigenen Neid gönnt, denn der ist letztlich ein Zeichen von Bewunderung bzw. das Eingeständnis, daß man es auch gerne hätte.
Psychoanalytisch würde man hier von einer Reaktionsbildung sprechen. Dies ist aber wohl eine eher gutartige Lösung eines Neidkonflikts, trägt vielleicht an vielen Stellen zum sozialen Frieden bei und sollte nicht unserer Geringschätzung verfallen, wenn gleich der Neid meist doch andere Schleichwege, Minengänge sucht und dadurch nicht aus der Welt ist.
Neid ist ein Untergrundaffekt. Es ist ein psychoanalytischer Grundgedanke, daß kein Gefühl und gerade keins, daß eine solche Bedeutung hat, völlig sinnlos oder böse ist. Ebenso ist eine psychoanalytische Grundregel, daß tabuisierte, verschiedene oder verdrängte Affekte keineswegs verschwunden sind.
Doch was ist Neid überhaupt? Warum entsteht er und wie läßt sich mit ihm umgehen, ohne ihn moralisierend zu verdammen. Psychoanalytiker haben sich seit je her mit dem Neid beschäftigt. Neid spielt in vielen Therapien eine zentrale Rolle. Etwa im Phänomen der sogenannten negativen therapeutischen Reaktion.
Auch ist Neid der Leitaffekt einiger psychischer Störungen, wobei hier vor allem der Narzissmus zu nennen ist. Neid ist keine Basisemotion, wie Ärger oder Trauer. Es handelt sich um eine komplexe soziale Emotion, die eigentlich immer schon in Abwehrform vorliegt. Häufig in etwa in Form von Rationalisierungen, also wenn einem scheinbar ein plausibler Grund vorgeschoben wird, der das Neidgefühl verdeckt. Ohne Abwehr bedeutet Neid ein quälendes Gefühl von Unterlegenheit, Unvollkommenheit, Minderwertigkeit, kurzum Schmerz, der manchmal einen geradezu vernichtenden Charakter annehmen kann, begleitet von einem Gefühl fundamentaler Scham. Man spricht auch von Neidschmerz, weshalb jede Neidabwehr immer auch Schmerzabwehr ist. Wenn gleich oft in einem Atemzug genannt, ist Neid von Gefühlen der Eifersucht abzugrenzen.
Eifersucht vollzieht sich immer in einem Beziehungsdreieck, eine Beziehung zweier Menschen, von der man sich als dritter ausgeschlossen fühlt, auf den man eifersüchtig ist.
Neid ist im Kern dyadisch, auf ein unmittelbares Gegenüber bezogen. Ein anderer hat etwas, daß ich haben will, und ist in diesem Sinne auch die entwicklungsgeschichtlich frühere, archaische Emotion.
Verfestigter Neid, der chronisch wird, manchmal ganze Gesellschaften betrifft, ist vielleicht mit dem Begriff „Ressentiment“ (ein Gefühl der Unterlegenheit, unbewußte Abneigung) am besten beschrieben. Ein Konglomerat aus Vorurteilen, Unterlegenheitsgefühlen, die sich meist in Hass und eine mehr oder weniger offenen Aggression niederschlagen. Ein Großteil der verbreiteten Vorurteile sind auf Neidgefühlen gegründet, wenn gleich meist auf crude (grobe) Projektion. Neid kann sich in Beziehungen in sehr unterschiedlicher Weise offenbaren. …
Rivalisierender Neid
Die Neigung immerzu in Konkurrenzbeziehungen zu treten, den anderen übertrumpfen zu wollen, niederzuringen, immer besser, schneller zu sein, mehr zu können, während jede Form der Unterlegenheit kaum zu ertragen ist. Der rivalisierende Neid hat aber in einigen Fällen auch eine gewisse produktive Komponente und findet sozial noch die größte Akzeptanz. In manchen sehr konkurrenzgetriebenen Bereichen der Gesellschaft, etwa der Wirtschaft, Wissenschaft oder dem Sport, ist er geradezu ein Ideal. Zum echten Sportsgeist gehört freilich auch verlieren können.
Verhindernder Neid
Hier wird das offene rivalisierende vermieden. Neidgefühle finden vielmehr in einer generellen Blockadehaltung Ausdruck, durchaus durch ein passiv aggressives Verhalten, den anderen am Fortkommen hindern, Schritte auf denen der andere wartet nicht vollziehen, den anderen am langen Arm verhungern lassen, in einer ohnmächtigen Position festhalten. Mails nicht beantworten, auf die der andere eine Antwort benötigt. Oder man denke an den Professor, der das Gutachten nicht schreibt, auf das sein aufstrebender Nachwuchs angewiesen ist, angeblich ausschließlich deshalb, weil er im Augenblick so sehr überlastet ist. Man spricht hier auch von anal-sadistischen Neid, nichts rauslassen, um den anderen zu quälen.
Selbstlähmender oder selbstdestruktiver Neid
Auch diese Form von Neid hat eine passiv-aggressive Komponente, die den anderen hemmen oder am Genuß seines Glücks hindern soll. Hier, indem man sich selbst destruktiv verhält, gerade dann, wenn der andere etwas erreicht hat, das eigene Glück zerstört, sich selbst in eine bemitleidungswürdige, schwache Position bringt. Diese Form des Neides zielt auf das Schuldgefühl, bringt sich in eine kaum angreifbare Position, denn wer will denjenigen, der leidet noch kritisieren, oftmals mit der unbewußten Beziehungsbotschaft verbunden, wie, du willst es dir gut gehen lassen, während es mir so schlecht geht.
Gieriger Neid
In der Terminologie der klassischen Psychoanalyse auch oraler oder primitiver Neid. Wegnehmen, den anderen aussaugen, nichts lassen, versuchen alles an sich zu reißen, allein deshalb, weil, der andere Freude daran zu haben scheint, ohne das man selbst etwas damit anfangen kann. Der Gegenstand wird vielmehr bedeutungslos, sobald man ihm dem anderen entrissen hat. Oder etwa dem Freund oder der Freundin die sich anbahnende Affäre ausspannen, nur um des Ausspannenswillens, zu zeigen, daß man es kann, wobei hier unter Umständen auch hier wieder das rivalisierende Moment in Spiel kommt. Es ist nicht erträglich, daß der andere etwas hat, woran er sich freut, man muß es sofort selbst haben, selbst machen, selbst können.
Destruktiver Neid
Hier wird der Neid aktiv zerstörerisch, was ich nicht haben kann, das mach ich dir kaputt. Der Neid verwandelt sich in Aggression, dem Versuch des anderen zu zerstören ohne Hoffnung, es sich für sich selbst zu gewinnen, durch physische Gewalt verbale Gewalt, Beleidigungen, hate speech, Entwertungen, den anderen zu demütigen, bloßzustellen, Lästern hinter dem Rücken oder andere raffinierte, heimtückische Formen der Aggression. Oder als etwas harmlosere Variante, durch ein Grollen, entwerten der Ferne, gewissermaßen gegen ein virtuelles Gegenüber, gegen das man Prügel austeilt. Die Quelle der Aggression, der Neid kann einer Person dabei durchaus unbewußt sein, bewußt nur eine unerbittliche Abneigung, Mißgunst, Schadenfreude, etwa gegen ein Geschwister, die für Außenstehende kaum verständlich scheinen. Je nach Ausmaß kann diese Form des Neides verheerende Folgen haben. Neid kann sich bis zur todeswünschen gegen den anderen auswachsen, in Extremfällen auch zur handgreiflichen.
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[Zeitstop: 12:06]
https://psy-cast.org/de/folge-60-neid-verborgene-triebkraft-menschlicher-beziehungen/
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